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Vermögensverteilung: Paritätischer fordert stärkere Besteuerung großen Reichtums

Der Paritätische Wohlfahrtsverband bezeichnet die Vermögenskonzentration in Deutschland, die laut einer aktuellen DIW-Studie höher ist als bisher vermutet, als „geradezu absurd“ und fordert eine stärkere Heranziehung großen Reichtums zur solidarischen Finanzierung des Gemeinwesens und dringend notwendiger Investitionen und sozialpolitischer Reformen.

„Angesichts der Corona-Pandemie stehen wir vor enormen Investitionen, die notwendig sind, um die Krise zu bewältigen und unser Gemeinwesen robuster, sozialer und gerechter zu gestalten. Ob Altenpflege, Kinderbetreuung oder Bildung, von der Armutsbekämpfung bis zu Hilfe und Beratung für Menschen in existenziellen Notlagen – für einen zukunfts- und leistungsfähigen Sozialstaat sind milliardenschwere Investitionen erforderlich. Wir kommen nicht länger um die Verteilungsfrage herum“, so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands.

Laut DIW-Studie verfügt das reichste Prozent der Bevölkerung in Deutschland über 35 Prozent des individuellen Nettovermögens, die reichsten zehn Prozent über knapp zwei Drittel. „Deutschland ist eines der reichsten Länder dieser Welt bei gleichzeitig extrem ungleicher, geradezu obszöner Verteilung dieses Reichtums. Wir müssen diejenigen, die es sich mehr als leisten können, stärker als bisher zur solidarischen Finanzierung unseres Gemeinwesens und dieses Sozialstaats heranziehen“, so Schneider.

Konkret spricht sich der Paritätische für eine stärkere Besteuerung sehr hoher Vermögen, Einkommen und Erbschaften aus. Angesichts der corona-bedingten Zusatzbelastungen dürfe auch eine einmalige Vermögensabgabe kein Tabu sein.

„Unsere Gesellschaft befindet sich in einer Zerreißprobe sondergleichen. Eine nachhaltige Besteuerung sehr großen Reichtums bietet die Chance, konjunkturpolitisch völlig unschädlich dringend notwendige Mittel zu generieren, um trotz Corona-Krise die soziale Daseinsvorsorge sicherzustellen, unsere Gesellschaft zu stabilisieren und keinen zurückzulassen. Umverteilung tut Not und Politik muss endlich den Mut haben, dies auch offensiv zu thematisieren und anzupacken“, so Schneider.

Der Verband weist darauf hin, dass insbesondere die Finanzsituation vieler Kommunen alarmierend prekär sei. Ohne ein Umsteuern drohten massive Verschlechterungen in der sozialen Daseinsvorsorge und der Lebensqualität vor Ort. „Wenn Politik auch in Zukunft unser Gemeinwesen gestalten und nicht nur den Mangel verwalten will, braucht es sofort einen finanz- und steuerpolitischen Kurswechsel“, fordert Schneider.

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Milliardäre und Superreiche an Kosten der Krise beteiligen

Pressemitteilung von Dietmar Bartsch, Fabio De Masi

 

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„Die Fehler der Finanzkrise dürfen sich nicht wiederholen. Seit 2008 gibt es 500.000 Millionäre mehr. Normalbürger bezahlten die Krise mit dem Verfall ihrer Infrastruktur. Wer zahlt jetzt? Das Grundgesetz sieht in Artikel 106 eine einmalige Vermögensabgabe vor. Solidarität aller ist das Gebot der Stunde. Auch derer, denen es sehr gut geht“, erklärt Dietmar Bartsch, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE, zur Diskussion um die Finanzierungen der Folgen der Corona-Krise.

 

Der stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE, Fabio De Masi, fügt hinzu: „Es ist Zeit, dass sich die Regierung nicht nur fragt, was Deutschland für die Milliardäre tun kann, sondern was die Milliardäre für dieses Land tun können. Die sogenannten kleinen Leute – Pflegekräfte, Kassiererinnen oder Polizisten – halten den Laden am Laufen. Eine Vermögensabgabe nach dem Vorbild des deutschen Lastenausgleichs nach dem zweiten Weltkrieg ist überfällig.“

 

Weitere Informationen:

Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag Platz der Republik 1, D-11011 Berlin Pressestelle Michael Schlick, Pressesprecher

Fax: +49.30.227.56801

Tel. +49.30.227.52800

pressesprecher@linksfraktion.de <mailto:pressesprecher@linksfraktion.de>

www.linksfraktion.de <https://www.linksfraktion.de>

Über 30 Organisationen: Bündnis „Reichtum Umverteilen“ fordert in offenem Brief steuerpolitischen Kurswechsel

Gemeinsame Pressemitteilung des Bündnisses „Reichtum umverteilen – ein gerechtes Land für alle!“ vom 24.10.2017

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Anlässlich der ersten Sondierungsrunde CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/ Die Grünen zu den Themen „Haushalt, Finanzen und Steuern“ fordert ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen eine stärkere Besteuerung sehr hoher Einkommen, Vermögen und Erbschaften, um die soziale Handlungsfähigkeit des Staates auch in Zukunft sicherzustellen. Eine Neuausrichtung der Steuer- und Finanzpolitik sei zur solidarischen Finanzierung des Gemeinwesens und der Einhaltung sozialstaatlicher Verpflichtungen unumgänglich, heißt es in einem offenen Brief des Bündnisses „Reichtum umverteilen – ein gerechtes Land für alle!“ an die Parteivorsitzenden.

Die über 30 Bündnisorganisationen schlagen ein Bündel an Maßnahmen vor, um die Steuereinnahmen zu erhöhen und damit den Handlungsspielraum des Staates zu erweitern: „Was wir dringend benötigen ist eine Vermögensteuer und eine Reform der Erbschaftsteuer, die diesen Namen verdient. Sehr hohe Einkommen müssen wieder stärker besteuert und Kapitalerträge dürfen nicht privilegiert werden. Zudem müssen Steuerbetrug schärfer bekämpft und Steuerschlupflöcher geschlossen werden“, heißt es.

Dringenden Investitionsbedarf sehen die Bündnispartner in der Infrastruktur, der Bildung von der Kita bis zur Weiterbildung, dem  Gesundheitswesen und der Pflege sowie der Kultur, Jugend und im Sport, aber auch in der Arbeitsmarktintegration und der Armutsbekämpfung.  Die Rechte der Beschäftigten müssten gestärkt, bezahlbare Wohnungen geschaffen, eine nachhaltige und preiswerte Energieversorgung gesichert sowie die soziale Absicherungen aller Menschen in Deutschland gewährleistet werden, fordert das Bündnis.

Unabhängig von den sozialpolitischen Vorstellungen der verhandelnden Parteien im Detail, sei der Gradmesser für die Zukunft dieses Sozialstaates die Steuer- und Haushaltspolitik. „Die soziale Handlungsfähigkeit des Staates entscheidet sich letztlich auf der Einnahmenseite.  Wenn der Staat seinen sozialstaatlichen Verpflichtungen nachkommen soll und insbesondere in vielen Kommunen nicht weiter auf Verschleiß fahren will, braucht es zusätzliche Einnahmen“, so das Bündnis.

Bündnis „Umverteilen“ stellt Forderungen zur Bundestagswahl vor

Gemeinsame Pressemitteilung des Bündnisses „Reichtum umverteilen – ein gerechtes Land für alle!“ zur Auftaktpressekonferenz am Dienstag, den 28. März 2017, in Berlin

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Das Bündnis Reichtum Umverteilen setzt im Wahljahr 2017 auf soziale Gerechtigkeit und startet pünktlich zum Bundestagswahlkampf die Kampagne „Reichtum umverteilen – ein gerechtes Land für alle!“. Insgesamt 30 Organisationen, von Gewerkschaften über Wohlfahrts- und Jugendverbände bis hin zu Migranten- und Umweltorganisationen, haben sich im Bündnis zusammengeschlossen, das heute in der Bundespressekonferenz in Berlin erstmals gemeinsam öffentlich auftrat. Strategisches Ziel ist es, neben der Frage der sozialen Gerechtigkeit die Steuer- und Umverteilungspolitik in den Mittelpunkt des Wahlkampfs zu rücken. Gefordert werden unter anderem die stärkere Besteuerung finanzstarker Unternehmen sowie großer Vermögen, Einkommen und Erbschaften.

„Die soziale Spaltung hat ein Ausmaß angenommen, das unerträglich ist“, so Frank Bsirske, Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di). Seit Jahrzehnten nähmen weltweit und in Deutschland soziale Ungleichheit, Unsicherheit und Ungerechtigkeit zu. Zentraler Schlüssel für eine gerechtere und bessere Politik für alle sei eine steuerpolitische Kehrtwende. Deshalb müssten Millionäre und Milliardäre stärker zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden, so Bsirske.

Dem enormen privaten Reichtum stehe eine massive öffentliche Armut gegenüber, die in immer mehr Kommunen deutlich sichtbar werde. „Deutschland fährt auf Verschleiß. Aus finanzieller Not werden vielerorts Ausgaben für Kultur, Soziales und Bildung über die Schmerzgrenze hinaus zusammengestrichen. Eine solidarische Steuer- und Finanzpolitik ist letztlich die Nagelprobe und der Glaubwürdigkeitstest für einen jeden, der mit dem Versprechen eines guten Sozialstaats und mehr sozialer Gerechtigkeit antritt“, so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands.

„Die zunehmende soziale Spaltung der Gesellschaft zeigt sich auch auf den Wohnungsmärkten. Wir brauchen dauerhaft preisgebundene Sozialwohnungen, mindestens 80.000 zusätzlich im Jahr, daneben ein bedarfsgerechtes Wohngeld sowie die Übernahme tatsächlich angemessener Wohnkosten bei den Regelsätzen in Hartz IV. Auch deshalb müssen finanzstarke Konzerne, große Vermögen, Milliardäre oder Millionäre stärker als bisher an den Kosten des Gemeinwohls beteiligt werden. Reichtum umverteilen heißt, Steuergerechtigkeit herstellen, Steuerschlupflöcher schließen und Steueroasen trockenlegen“, so Ulrich Ropertz, Geschäftsführer des Deutschen Mieterbundes.

Die ungleiche Vermögensverteilung gehe weltweit einher mit ungleichen Machtverhältnissen und sei damit auch in Deutschland eine ernstzunehmende Bedrohung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, warnt das Bündnis. Barbara Eschen, Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz und Direktorin der Diakonie Berlin-Brandenburg betont: „Deutschland ist ein reiches Land. Umso skandalöser ist es, dass so viele Menschen in Deutschland abgehängt sind, weil sie arm sind. Der Reichtum in Deutschland muss umverteilt werden. Und es muss endlich Schluss damit sein, verschiedene Gruppen von Bedürftigen gegeneinander aus zu spielen.“

Bestärkt in seinen Forderungen sieht sich das Aktionsbündnis auch durch den aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, in dem diese selbst vor einer zu starken Spaltung der Gesellschaft warnt und einräumt, dass Beschäftigte ihre Anstrengungen vielfach als nicht ausreichend respektiert empfänden, Langzeitarbeitslose nicht proportional vom deutschen Job-Boom profitierten und der Dienstleistungsbereich bei den Lohnsteigerungen hinterherhinke. „Wir teilen diese Diagnose. Jetzt gilt es, den Worten Taten folgen zu lassen. Wer Armut bekämpfen will, muss die Tarifbindung stärken und die gesetzliche Rente stabilisieren und schrittweise wieder anheben“, so ver.di-Vorsitzender Frank Bsirske.

Mehr Informationen unter: http://www.reichtum-umverteilen.de

Reichtum ohne Gier? Kritik am Kapitalismus und Perspektiven einer alternativen Wirtschaftsordnung

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Ein Gespräch mit

 

Sahra Wagenknecht

Die Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Bundestag hat in ihrem Buch „Reichtum ohne Gier“ eine starke Kritik des heutigen Kapitalismus vorgelegt, die sich vor allem gegen die großen Banken und Finanzfonds, Konzerne und Superreichen richtet. Sie fordert eine alternative Wirtschaftsordnung und Eigentumsformen, die die „Freiheit unternehmerischer Initiative sichern und zugleich die neofeudalen Konsequenzen des heutigen Wirtschaftseigentums – leistungslose Einkommen und die Vererbbarkeit der Kontrolle über Unternehmen – vermeiden.“

 

Hans-Jürgen Urban

Das geschäftsführende Vorstandsmitglied der IG Metall setzt sich besonders dafür ein, dass Gewerkschaften ihr politisches Mandat ausfüllen und wahrnehmen. Er führt seit vielen Jahren die Diskussion um Wirtschaftsdemokratie und für eine breite und vielfältige „Mosaik-Linke“. Seit längerem kritisiert er zudem dieeuropäische Austeritätspolitik, plädiert für eine Neuausrichtung der EU und hat hierfür den Vorschlag einer solidarischen und demokratischen Wertschöpfungsunion unterbreitet.

 

Samstag, 14. Januar 2016

 

Beginn: 19:00 Uhr

Haus des DGB Berlin, Keithstraße. 1,

Wilhelm-Leuschner-Saal

 

Eintritt frei

 

Mit Unterstützung der Tageszeitung Neues Deutschland

Wer viel verdient, erhält auch viel aus Erbschaften und Schenkungen

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27.04.2016

Von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie

Wer viel verdient, erhält auch viel aus Erbschaften und Schenkungen – Besteuerung setzt Polarisierung wenig entgegen

Menschen mit hohem Einkommen erhalten besonders oft und besonders viel Geld aus Schenkungen und Erbschaften, zeigt eine neue, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).* So konzentriert sich Reichtum über die Generationen in zunehmendem Maße. Vermögensbezogene Steuern, die dem entgegenwirken könnten, werden kaum noch erhoben.

„Erbschaften und Schenkungen können als Kanal angesehen werden, durch den bestehende Chancenungleichheit und die resultierende ökonomische Ungleichheit verstärkt werden“, konstatieren die DIW-Forscher Christian Westermeier und Dr. Markus M. Grabka sowie Anita Tiefensee von der Hertie School of Governance im Fazit ihrer Studie. Der Staat trage das Seine dazu bei: Nach zwei Jahrzehnten, die in Deutschland vor allem durch Entlastungen für Wohlhabende geprägt waren, sei „die Besteuerung von Erbschaften und Schenkungen derzeit nicht geeignet, der Kluft zwischen Arm und Reich entgegenzuwirken“, schreiben die Wissenschaftler.

Wer hat, dem wird gegeben – dieses Muster beobachten die Forscher nicht nur in Deutschland, sondern mit kleinen Unterschieden in allen acht Euroländern, für die aussagekräftige Daten aus dem repräsentativen Household Finance and Consumption Survey der europäischen Notenbanken vorliegen. Bis zum Untersuchungsjahr 2010 hatten je nach Land zwischen 27 und 40 Prozent der Haushalte mindestens einmal geerbt oder eine Schenkung erhalten. In die Analyse flossen nur Geldtransfers zwischen Haushalten ein. Übertragungen unter Eheleuten oder an Kinder, die noch bei ihren Eltern wohnen, blieben also außen vor. Daher dürfte das Transfervolumen unterschätzt sein, vor allem in Südeuropa, wo mehr Menschen unter einem Dach leben. Trotzdem ist der Wert aller erfassten Erbschaften und Schenkungen sehr groß. In Westdeutschland – die neuen Länder konnten in die Studie nicht einbezogen werden, weil Erbschaften aus DDR-Zeiten schwer zu bewerten sind – entspricht er fast einem Drittel der aktuellen Haushaltsnettovermögen. Dabei zeigt sich eine hohe soziale Ungleichheit, häufig sogar in zwei wesentlichen Dimensionen:

Wer viel verdient, erbt häufiger. Das konstatieren die Forscher für Westdeutschland, Frankreich, Österreich und Belgien. So haben in Deutschland und Österreich Haushalte, die beim Einkommen zu den obersten 20 Prozent zählen, doppelt so häufig geerbt oder Schenkungen empfangen wie Haushalte aus dem untersten Fünftel. Die Forscher erklären das mit einer besonders niedrigen sozialen Mobilität in diesen Ländern: Bei Bildung und Einkommen ähnelten sich Eltern- und Kindergeneration stärker als in den untersuchten südeuropäischen Ländern Spanien, Portugal, Griechenland und Zypern. Nicht nur Vermögen, auch der soziale Status werde also in hohem Maße „vererbt“.

Hohes Einkommen, höhere Transfers. Dieser Zusammenhang zeigt sich in allen untersuchten Ländern. Westdeutsche Haushalte, die bereits geerbt haben oder beschenkt wurden, erhielten im Durchschnitt 193.000 Euro, zeigen die Berechnungen der Forscher. Mit diesem Wert liegen die Deutschen auf Platz drei – nach Zyprioten und Österreichern. In allen untersuchten Ländern ist der Durchschnitt weitaus höher als der Median. Dies weist den Forschern zufolge „auf die hohe Ungleichheit der empfangenen Transfers“ hin.

In Westdeutschland heißt das konkret, dass erbende oder beschenkte Haushalte, die zum bestverdienenden Fünftel zählen, im Schnitt 304.000 Euro bekommen haben. Im mittleren dritten Fünftel waren es durchschnittlich 158.000 Euro. Die – relativ wenigen – Empfänger von Erbschaften oder Schenkungen im untersten Fünftel bekamen im Schnitt lediglich 97.000 Euro. Eine deutsche Besonderheit: Hier erhalten bereits Menschen in der Altersklasse von 35 bis 44 hohe Transfers. Das ist früher als in den meisten anderen Ländern und deutet nach Ansicht der Forscher auf eine besondere Bedeutung von Schenkungen hin.

Dass Gutverdiener-Haushalte besonders häufig große Erbschaften und Schenkungen erhalten, bedeutet laut der Studie aber nicht, dass solche Transfers für ihre Vermögensbildung besonders wichtig sind. Im Gegenteil: Im Verhältnis zum Gesamtbesitz ist in den meisten untersuchten Ländern der Anteil, der aus Erbschaften und Schenkungen stammt, über die Einkommensklassen hinweg sehr ähnlich. In Westdeutschland ist er beim wohlhabendsten Fünftel etwa 15 Prozent niedriger als beim Rest. „Wer aus vermögendem Hause kommt, erzielt überdurchschnittlich oft selbst ein hohes Einkommen und kann sich darüber hinaus öfter über hohe Erbschaften und Schenkungen freuen“, erklären Westermeier, Grabka und Tiefensee.

In fast allen untersuchten Ländern setzt die Steuerpolitik der Vermögenspolarisierung beim Übergang auf die nächste Generation wenig bis fast nichts entgegen. Das zeigen die Forscher in einer kurzen Analyse der rechtlichen Entwicklung in den vergangenen Jahren. So schafften Österreich, Zypern und Portugal die Erbschaftsteuer weitgehend ab. In Deutschland könnten „durch hohe Freibeträge, die sich nach zehn Jahren erneuern“ auch Privatvermögen „fast steuerfrei an die nächste Generation übertragen werden“, so die Forscher. Das komme vor allem Wohlhabenden zugute, ebenso wie die Aussetzung der Vermögensteuer und Absenkungen bei der Besteuerung von Unternehmen, Kapitalerträgen und hohen Einkommen. Dabei, betonen die Wissenschaftler, ließen sich „mit zusätzlichen Mitteln aus vermögensbezogenen Steuern auch Instrumente finanzieren, die die Chancengleichheit erhöhen“ – beispielsweise ein besseres, durchlässigeres Bildungssystem.

*Christian Westermeier, Anita Tiefensee, Markus Grabka: Erbschaften in Europa: Wer viel verdient, bekommt am meisten. DIW-Wochenbericht 17/2016.
Download: http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.532408.de/16-17.pdf

Einkommen driften wieder auseinander, soziale Mobilität gesunken

26.11.2015

Neuer WSI-Verteilungsbericht

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Der wirtschaftliche Aufschwung seit der Finanzmarktkrise ist bislang nur bei einem Teil der Menschen in Deutschland angekommen. Seine Wirkungen sind ungleich verteilt und haben die wirtschaftliche Polarisierung der 2000er Jahre längst noch nicht ausgeglichen. Das ist besonders problematisch, weil die Aufstiegschancen ärmerer Haushalte über die vergangenen drei Jahrzehnte gesunken sind, für die Mittelschicht ist das Risiko gewachsen, finanziell abzusteigen. Zentrale Kennzahlen zeigen: Die Spreizung der Einkommen hat nach den neuesten vorliegenden Daten nach einem leichten Rückgang während der Finanzmarktkrise sogar wieder zugenommen und liegt nahe beim bisher gemessenen Höchstwert. Auch war der Anteil der Arbeitnehmereinkommen am Volkseinkommen 2014 zwar höher als unmittelbar vor der Finanzkrise, er liegt aber weiterhin unter der Quote zur Jahrtausendwende. Die Armutsquote verharrt auf relativ hohem Niveau.

Das zeigt der neue Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, der heute in Berlin vorgestellt wird.* Der gesetzliche Mindestlohn – der von den derzeit verfügbaren Statistiken noch nicht abgebildet wird – sei ein wichtiger erster Schritt gegen eine wirtschaftliche und soziale Polarisierung, sagt die Autorin Dr. Dorothee Spannagel. Daher sei es wichtig, seiner „Aushöhlung“ durch weitere Ausnahmen vorzubeugen. Einen weiteren wesentlichen Schlüssel zur Begrenzung der Ungleichheit sieht die Wissenschaftlerin in einer angemesseneren, höheren Besteuerung insbesondere „superreicher“ Haushalte, beispielsweise durch die Abschaffung der pauschalen Abgeltungssteuer und Reformen bei der Erbschaftsteuer. Wenn die Politik nicht weiter gegenlenke, könne sich eine „bedenkliche Entkoppelungstendenz“ verstärken, warnt Spannagel: „Die sehr Reichen schweben regelrecht über den konjunkturellen Krisen, während viele Arme auch von einem länger andauernden wirtschaftlichen Aufschwung kaum profitieren.“

Die WSI-Verteilungsexpertin hat für ihren Bericht die relevanten Datenquellen ausgewertet. Kernergebnisse des Verteilungsberichts:

– Schere bei den Einkommen geht wieder auf – In 2012, dem letzten Jahr, für das bislang Einkommensdaten vorliegen, betrug der Gini-Koeffizient für die verfügbaren Haushaltseinkommen in Deutschland 0,288, hat Verteilungsforscherin Spannagel auf Basis des sozio-oekonomischen Panels (SOEP) berechnet (siehe auch Grafik 1 im Anhang der pdf-Version dieser PM; Link unten). Damit zeigte der verbreitetste Indikator zur Einkommensverteilung einen um rund 15 Prozent höheren Ungleichheits-Wert an als Anfang oder Ende der 1990er Jahre, als der Gini knapp unter 0,25 lag. Die scheinbar relativ geringen Veränderungen signalisieren für Fachleute ein spürbares Auseinanderdriften der Einkommen. Kräftig angestiegen ist die Ungleichheit in Deutschland vor allem Ende der 1990er und in der ersten Hälfte der 2000er Jahre. Laut der Industrieländerorganisation OECD nahm sie damals stärker zu als in den meisten anderen ihrer 30 Mitgliedsländer. War die Bundesrepublik zuvor ein Land mit relativ ausgeglichener Einkommensverteilung, rutschte sie ins Mittelfeld von EU und OECD ab. Kennzeichnend für diese Zeit war ein wachsender Niedriglohnsektor, gleichzeitig stiegen die Einkommen aus Unternehmensgewinnen und Kapitalanlagen stark an. Diese fließen vor allem wohlhabenden Haushalten zu.

Unter Fachleuten umstritten ist, was zwischen 2005 und 2010 passierte. Das SOEP weist für diesen Zeitraum einen leichten Rückgang des Gini-Wertes auf – von 0,289 auf 0,280. Manche Wissenschaftler und Politiker werteten das schon als Entwarnung. Allerdings, darauf weist auch WSI-Expertin Spannagel hin, hat das von vielen Forschern als Datenquelle geschätzte SOEP gerade bei der Erfassung sehr hoher Einkommen und Vermögen Lücken. „Superreiche“ Millionäre oder gar Milliardäre sind im Datensatz kaum vertreten, und damit auch ein wesentlicher Teil der Gewinn- und Kapitaleinkommen. Eine vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung kürzlich herausgegebene Studie fand Indizien dafür, dass der vom SOEP angezeigte Rückgang der Ungleichheit gar nicht stattgefunden hat. Allerdings bildet auch die dabei verwendete Stichprobe von Steuerdaten nicht alle Einkommen ab, daher sind beide Datenquellen nicht direkt vergleichbar.

In letzter Zeit weist der Trend aber auf jeden Fall auch beim SOEP wieder Richtung steigende Ungleichheit: Zwischen 2010 und 2012 stieg der Gini-Wert wieder an. Damit habe „die Konzentration der Einkommen fast wieder das Niveau von 2005 erreicht“, schreibt Spannagel – und das trotz deutlich höherer Beschäftigung.

– Lohnquote stagniert knapp unter 70 Prozent – Dass die Arbeitnehmereinkommen lange Zeit gegenüber den Kapitaleinkommen deutlich an Boden verloren haben, bildet sich auch in der bereinigten Lohnquote ab. Diese volkswirtschaftliche Größe zeigt, welcher Anteil am Volkseinkommen auf die Arbeitnehmereinkommen entfällt. Ende 2014 betrug dieser Anteil 69,1 Prozent, ein geringfügiger Rückgang gegenüber 2013 (siehe Grafik 2 in der pdf-Version; Link unten). Damit lag die Lohnquote zwar deutlich über ihrem Tiefststand 2007, als die Arbeitnehmereinkommen am Vorabend der Finanzmarktkrise nur 65,1 und die Kapitaleinkommen 34,9 Prozent an der gesamtwirtschaftlichen Kaufkraft ausmachten. Allerdings hatte sie in den 1990er Jahren und bis 2003 fast immer merklich über 70 Prozent gelegen mit einem Spitzenwert von 72,5 Prozent im Jahr 2000.

Ein ganz ähnlicher Trend zeigt sich, wenn man die Entwicklung der Arbeits- und der Gewinn- und Vermögenseinkommen seit 1991 vergleicht: Obwohl die Einkommen der Arbeitnehmer in den vergangenen Jahren aufgeholt haben, bleibt auch Ende 2014 ein erheblicher Rückstand.

– Sinkende soziale Mobilität –
Besonders problematisch ist die gewachsene Ungleichheit der Einkommen nach der WSI-Analyse, weil gleichzeitig während der 2000er Jahre die Einkommensmobilität merklich zurückgegangen ist. Das lässt sich an der Entwicklung des so genannten Pearson´schen Korrelationskoeffizients zwischen 2000 und 2008 ablesen (Grafik 3 in der pdf-Version). Sie zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, von einer Einkommensgruppe in eine andere auf- oder abzusteigen, signifikant zurückging. Die Finanzmarktkrise änderte diese Tendenz nur kurz. Eine ähnlich ausgeprägte Phase habe es zuletzt in den frühen 1980er Jahren gegeben, schreibt Spannagel. Mit Blick auf die vergangenen drei Jahrzehnte beobachtet die Forscherin eine „wellenförmige“ Bewegung, die aber im Trend zu einer wachsenden Undurchlässigkeit führe.

Eine genauere Betrachtung mit einer anderen wissenschaftlichen Methode (Grafik 4) zeigt nach der WSI-Analyse bedeutsame Differenzierungen: Die Verfestigung der Einkommensposition gelte vor allem für die oberen und unteren Ränder, so Spannagel: „Sehr reiche“ Haushalte, die mehr als das Dreifache des mittleren verfügbaren Einkommens (Median) haben, müssten heute seltener als in den 1980er Jahren einen Abstieg befürchten, für Arme sanken im gleichen Zeitraum die Chancen auf Aufstieg beträchtlich, sie bleiben häufiger arm.

Für die Einkommensgruppen dazwischen zeigt sich unter der statistischen Lupe zwar mehr Bewegung – doch die gehe überwiegend in eine problematische Richtung, konstatiert Spannagel. Das gelte vor allem für die untere und die obere Mittelschicht, also für all jene Haushalte, die über 60 bis 150 Prozent des Medianeinkommens verfügen: Beide „haben sich zu Klassen mit deutlichen Abstiegsrisiken entwickelt“, hat die Wissenschaftlerin beobachtet. „Vor allem in der Unteren Mitte steigen deutlich mehr Personen zu den Armen ab, als dies in den 1980er Jahren der Fall war.“

– Armutsquote weiter auf hohem Niveau – Eine langfristige Polarisierung, die bislang nicht wieder ausgeglichen wurde, bildet sich nach der WSI-Analyse auch in der Armutsquote in Deutschland ab (siehe Grafik 5). 1991 lebten laut SOEP gut 11 Prozent der Menschen in Haushalten, deren verfügbares Einkommen weniger als 60 Prozent des Medians erreichte. Diese Armutsgrenze lag zuletzt bei rund 1000 Euro netto im Monat für einen Einpersonenhaushalt. Bis 2009 stieg der Anteil der Menschen, die nach dieser gängigen wissenschaftlichen Definition arm sind, auf gut 15 Prozent. 2014 lag die Armutsquote immer noch bei 14,4 Prozent. Knapp acht Prozent der Menschen hatten 2014 sogar nur ein Einkommen von weniger als 50 Prozent des Medians und galten damit als „sehr arm“. Das waren zwar weniger im Jahr 2009, das mit knapp 9,2 Prozent den bisher höchsten Wert aufwies. Bis zum Ende der 1990er Jahre lag der Anteil der Menschen in „sehr armen“ Haushalten jedoch meist unter sechs Prozent.

Trotz seiner guten wirtschaftlichen Entwicklung in den vergangenen Jahren liege Deutschland somit bei der Armutsquote nach wie vor nur im europäischen Mittelfeld, erklärt Spannagel. Auch wenn nach dem 60-Prozent-Kriterium identifizierte Arme in der Bundesrepublik bessere Lebensumstände hätten als Arme in wirtschaftlich schwächeren EU-Ländern, sei die Abgrenzung aussagekräftig, betont die Wissenschaftlerin: „Arm ist nicht nur, wer nicht genug zum Überleben hat, sondern arm ist auch, wer aufgrund mangelnder finanzieller Ressourcen aus Teilbereichen der Gesellschaft ausgeschlossen ist.“

*Dorothee Spannagel: Trotz Aufschwung: Einkommensungleichheit geht nicht zurück. WSI-Verteilungsbericht 2015. WSI-Report Nr. 26, November 2015. Download: http://www.boeckler.de/pdf/p_wsi_report_26_2015.pdf

Die PM mit Grafiken (pdf): http://www.boeckler.de/pdf/pm_wsi_2015_11_26.pdf

Neue Studie von IMK und ZEW: Starke Zweifel an Trendwende bei der Einkommensungleichheit

Umfairteilen1

02.11.2015

Die Schere bei der Einkommensverteilung in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren geöffnet. Die von etlichen Forschern angenommene Trendwende hin zu einer leicht sinkenden Einkommensungleichheit in der zweiten Hälfte der 2000er Jahre hat es wahrscheinlich gar nicht gegeben. Grund für mögliche Fehleinschätzungen sind Lücken bei der statistischen Erfassung von Kapitaleinkommen, die vor allem wohlhabenden Haushalten zufließen. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung und des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).*

Unstrittig ist: Die Einkommen in der Bundesrepublik sind heute deutlich ungleicher verteilt als vor 20 oder 25 Jahren. Das liegt daran, dass die Abstände in den späten 1990er und besonders in den frühen 2000er Jahren gewachsen sind, wie zahlreiche Studien zeigen. So konstatierte etwa die Industrieländerorganisation OECD, dass die wirtschaftliche Ungleichheit in Deutschland in diesem Zeitraum stärker zugenommen habe als in den meisten anderen Mitgliedsländern. Eine wichtige Rolle dabei spielten Deregulierungen am Arbeitsmarkt und die starke Ausbreitung von Niedriglöhnen, während die Einkommen aus Kapitalanlagen und Unternehmensgewinnen kräftig wuchsen.

Weniger klar ist hingegen, was genau im Zeitraum zwischen 2005 und 2010 passiert ist. Bislang gingen viele Wissenschaftler davon aus, dass sich die Einkommensungleichheit nach 2005 nicht weiter erhöht habe, sondern etwas zurückgegangen sei – ohne allerdings das niedrigere Niveau der 1990er Jahre wieder zu erreichen, schreiben Dr. Kai-Daniel Schmid vom IMK und Prof. Dr. Andreas Peichl und Moritz Drechsel-Grau vom ZEW. Diese Interpretation stützt sich auf Daten aus dem sozio-oekonomischen Panel (SOEP), einer von Sozial- und Wirtschaftsforschern oft genutzten Wiederholungsbefragung in mehr als 10.000 Haushalten. Der auf SOEP-Basis berechnete Gini-Koeffizient, das verbreitetste Maß für die Ungleichheit, stieg bei den Markteinkommen von 2000 bis 2005 deutlich an. Danach ging er bis 2010 wieder leicht zurück. Die auf den ersten Blick geringfügigen Veränderungen stellen signifikante Verschiebungen in einem relativ kurzen Zeitraum dar. Den im SOEP gemessenen Rückgang der Ungleichheit erklären Wissenschaftler in erster Linie mit dem positiven Trend auf dem Arbeitsmarkt nach 2005.

Die drei Forscher von IMK und ZEW haben allerdings erhebliche Zweifel an dieser scheinbaren Entspannung. Tatsächlich erscheine „die verbreitete Annahme eines Rückgangs der Einkommensungleichheit in Deutschland nach 2005“ als „nicht plausibel“, schreiben die Ökonomen. Ein Abgleich mit anderen Datenquellen lege nahe, „dass die vermeintliche Trendwende“ Mitte der 2000er Jahre nur „ein datensatzspezifisches Artefakt ist“, erklärt IMK-Experte Schmid. Der Eindruck, dass sich hohe und niedrige Einkommen zwischenzeitlich etwas angenähert hätten, beruhe also lediglich auf blinden Flecken bei der Datenerhebung im SOEP.

Dass das SOEP bei den Themen Einkommen und Vermögen an Grenzen stößt, konstatieren auch andere Fachleute, etwa Verteilungsforscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Wichtigstes Defizit: Für Haushalte mit niedrigem, mittlerem und gehobenem Einkommen und Vermögen ist das Panel repräsentativ. Sehr reiche Menschen sind in der freiwilligen Befragung jedoch deutlich unterrepräsentiert, etwa, weil sie bei der Stichprobenauswahl nicht gezogen werden oder auf Diskretion bedacht sind. So besitzt der reichste Haushalt im SOEP nach Abzug von Schulden „nur“ 50 Millionen Euro. Enorm viel Geld – aber doch weit entfernt vom obersten Ende der Vermögenshierarchie, wo der Besitz mindestens im dreistelligen Millionenbereich liegt. Deutschlands superreiche Multimillionäre und Milliardäre kommen in der Statistik nicht vor, auch „einfache“ Millionäre dürften im SOEP zu selten berücksichtigt sein.

Damit werde aber ein erheblicher Teil der Kapital- und Gewinneinkommen gar nicht erfasst, konstatieren die Experten von IMK und ZEW. Denn Einnahmen aus Unternehmensgewinnen, Aktien oder Geldanlagen konzentrieren sich am oberen Ende der Einkommenspyramide. Schon nach den SOEP-Daten entfällt knapp die Hälfte der Kapitaleinkünfte allein auf das wohlhabendste Zehntel der Haushalte – und dieser Anteil würde noch massiv unterschätzt, so Ökonom Schmid.

Um die wirkliche Entwicklung der Ungleichheit besser auszuleuchten, nutzt die Forschergruppe eine repräsentative Stichprobe aus dem Taxpayer-Panel (TPP). Das TPP enthält anonymisierte Daten von knapp 27 Millionen Menschen in Deutschland, die eine Einkommensteuererklärung abgeben. Im Vergleich zum SOEP sind die Haushalte mit hohen Einkommen nach Analyse der Forscher im TPP realistischer abgebildet, dafür fehlen relativ arme Haushalte, die keine Steuererklärung einreichen. Tatsächlich erfasst die Steuerstatistik weitaus höhere Kapitaleinkommen. Das gilt insbesondere für das einkommensstärkste Zehntel: Laut SOEP erzielten diese Haushalte 2010 im Mittel etwa 6.000 Euro an Kapitaleinkünften. Nach dem TPP waren es dagegen etwa 50.000 Euro.

Auch an einem zweiten Punkt unterschieden sich die beiden Datenquellen erheblich, betonen Schmid, Peichl und Drechsel-Grau: Berechnet man den Gini-Koeffizienten auf Basis der Steuerstatistik, zeigt sich auch zwischen 2005 und 2008 ein stetiger Anstieg der Ungleichheit. 2009 gab es einen kleinen Rückgang, weil in der Finanz- und Wirtschaftskrise die Kapitalerträge einbrachen. Doch bereits 2010 ging die Verteilungsschere wieder auf.

Da SOEP und TPP nicht direkt vergleichbar sind, könne der eine Trend den anderen nicht einfach widerlegen, erklären die Autoren. In der Zusammenschau erscheine es aber höchst wahrscheinlich, dass die Zunahme der Kapitaleinkommen die Verteilungswirkungen der positiven Entwicklung am Arbeitsmarkt überlagert habe. Unter dem Strich wären die Treiber der Ungleichheit damit auch zwischen 2005 und 2010 stärker gewesen als die Effekte, die für mehr Ausgeglichenheit sorgen. Da sich die Profiteinkommen, beispielsweise aus Unternehmensgewinnen oder Aktien, nach Ende der Finanzkrise kräftig erholten, habe sich der Trend zur Einkommensungleichheit dann in den vergangenen Jahren weiter verstärkt, vermutet IMK-Forscher Schmid. Darauf deuten im Übrigen auch die aktuellsten Daten aus dem SOEP hin: 2011 und 2012 verzeichnete das Panel erneut einen leichten Anstieg der Ungleichheit.

* Moritz Drechsel-Grau, Andreas Peichl, Kai Daniel Schmid: Querverteilung und Spitzeneinkommen in Deutschland. Einkommensungleichheit – Quo Vadis? IMK-Report Nr. 108, November 2015. Download: http://www.boeckler.de/pdf/p_imk_report_108_2015.pdf

Video-Statement von Prof. Dr. Gustav A. Horn: https://youtu.be/3YohP44S94c

Oxfam-Bericht: Ungleichheit und Armut in Europa bedrohen sozialen Zusammenhalt

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Innerhalb der Eurozone ist Vermögensungleichheit in Deutschland am zweithöchsten / Frauen verdienen im Vergleich zu Männern deutlich weniger als in den meisten EU-Ländern

Berlin, 9. September 2015. Die zunehmende Armut und Ungleichheit in Europa bedrohen den sozialen Zusammenhalt und untergraben die Demokratie. Davor warnt die Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam in dem heute veröffentlichten Bericht „Ein Europa für alle“. Demnach fehlte im Jahr 2013 50 Millionen Menschen in Europa das Geld, ihre Wohnungen zu heizen oder unvorhergesehene Ausgaben zu bestreiten – ein Anstieg um 7,5 Millionen seit 2009. Fast ein Viertel der europäischen Bevölkerung, insgesamt 123 Millionen Menschen, lebt an der Armutsgrenze oder darunter. Dem stehen auf der Sonnenseite der europäischen Vermögensskala 342 Milliardäre gegenüber, mehr als doppelt so viele wie noch im Jahr 2009. In Deutschland ist der Anteil der von Armut bedrohten Menschen zwischen 2005 und 2013 von zwölf auf 16 Prozent gewachsen. Im gleichen Zeitraum wuchs das Nettovermögen aller Milliardäre in Deutschland von 214 auf 296 Milliarden US-Dollar.

Der Bericht identifiziert drei Hauptursachen für die wachsende Ungleichheit und Armut:

  • Reiche Einzelpersonen, Unternehmen und private Interessensgruppen kontrollieren die Entscheidungsprozesse in der Politik. Die Folge: Steuersysteme und Regierungspolitiken nutzen einigen wenigen, nicht aber der Mehrheit, weshalb die Einkommens- und Vermögensungleichheit steigt.
  • In einigen EU-Staaten ging die Sparpolitik im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise ausschließlich zulasten der Ärmsten. Mindestlöhne mussten auf Druck der Gläubiger gekürzt, der Kündigungsschutz abgeschafft, der öffentliche Sektor verkleinert werden. Nationale Tarifverhandlungen wurden in Spanien, Portugal und Griechenland zurückgedrängt und durch Verhandlungen auf Firmenebene ersetzt.
  • Ungerechte Steuersysteme vergrößern in vielen europäischen Ländern die Lücke zwischen Arm und Reich, statt Einkommensungleichheiten zu verringern. Sie besteuern Arbeit und Konsum stärker als Kapital, was reichen Einzelpersonen, Gutverdienenden und großen Unternehmen ermöglicht, ihren Steuerverpflichtungen zu entgehen. So bezieht Spanien 90 Prozent seiner Steuereinnahmen aus Steuern auf Arbeit, Einkommen und Konsum, Unternehmenssteuern machen nur zwei Prozent der Einnahmen aus. Zugleich verlieren die EU-Staaten insgesamt eine Billion Euro pro Jahr durch Steuervermeidung.

Ergänzend zum Bericht „Ein Europa für alle“ veröffentlicht Oxfam eine Rangliste, die die EU-Mitgliedstaaten anhand sieben verschiedener Kennzahlen zu Armut und Ungleichheit einordnet:

  • In Deutschland, Griechenland und Portugal herrscht EU-weit die höchste Einkommensungleichheit vor Steuern und Sozialtransfers.
  • Die größte Ungleichheit bei den verfügbaren Einkommen (nach Steuern) findet sich in Bulgarien, Lettland und Litauen. In Deutschland ist die diesbezügliche Ungleichheit zwischen 2005 und 2013 signifikant gestiegen.
  • Rumänien und Griechenland haben die höchste Quote an Menschen, die trotz Arbeit von Armut bedroht sind. Auch in Deutschland stieg dieser Wert zwischen 2005 und 2013 kontinuierlich.
  • In Deutschland, Österreich und Tschechien bestehen die höchsten Einkommensgefälle zwischen Männern und Frauen.

Jörn Kalinski, Leiter der Kampagnenarbeit von Oxfam Deutschland, kommentiert: „Global gesehen ist die EU eine Gruppe reicher Länder, doch  ein Viertel der Bevölkerung ist auch hier von Armut bedroht. Dies ist kein unabwendbares Schicksal, sondern Folge fehlgeleiteter Politik, die sich ändern lässt. Es gibt Alternativen: Wir dürfen Armut, Ungleichheit und die politische Vorherrschaft reicher Eliten nicht länger hinnehmen. Denn dies bedroht den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaften und langfristig die Demokratie. Wir brauchen mehr Geld für öffentliche Dienstleistungen, Steuersysteme, die den Armen und nicht den Reichen nutzen, sowie Standards für faire Löhne und Arbeitsbedingungen.“

Redaktionelle Hinweise
Der Bericht „Ein Europa für alle” steht unter zum Download bereit unter http://www.oxfam.de/sites/www.oxfam.de/files/ox_eu_factsheet_ansicht19.pdf
Die Rangliste zu Armut und Ungleichheit in EU-Staaten steht unter zum Download bereit unter http://www.oxfam.de/sites/www.oxfam.de/files/eu_inequality_league_table_final.xlsx

Oxfam: G7 müssen über das Thema Umverteilung sprechen

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Umfrage zum G7-Gipfel: 82 Prozent der Deutschen wollen soziale Ungleichheit auf der Agenda sehen

Berlin, 6. Juni 2015. Das Programm des G7-Gipfels in Elmau stößt auf Kritik der Entwicklungsorganisation Oxfam – und einer überwältigenden Mehrheit der Deutschen. Eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid im Auftrag von Oxfam Deutschland zeigt, dass 82 Prozent der Deutschen beim Gipfeltreffen der G7-Staats- und Regierungschefs einen Schwerpunkt in den Gesprächen beim Umgang mit weltweit wachsender sozialer Ungleichheit erwarten. Doch dieses Thema steht nicht auf der Agenda.

Jörn Kalinski, Leiter der Kampagnenarbeit von Oxfam Deutschland, kommentiert: „Auf der Tagesordnung stehen Wachstumsfragen, es muss aber auch um Möglichkeiten einer gerechten Verteilung gehen. Angela Merkel hat die Hungerbekämpfung als Gipfelziel ausgerufen. Im kommenden Jahr wird ein Prozent der Weltbevölkerung mehr besitzen als der gesamte Rest. Um glaubwürdig zu bleiben, muss sich die Bundeskanzlerin dafür einsetzten, dass dieser Trend gestoppt wird. Wirtschaftliches Wachstum macht derzeit vor allem die Reichen reicher. Was wir brauchen, sind Wachstums- und Verteilungsstrategien, die besonders den Armen zugutekommen.“

Kalinski weiter: „Derzeit entgehen armen Ländern jährlich Milliardeneinnahmen durch die Steuertricks internationaler Konzerne. Das wird sich auch bei noch  mehr Wirtschaftswachstum nicht ändern. Die G7 müssen dafür sorgen, dass armen Ländern ausreichende Finanzmittel zur Verfügung stehen, um soziale Ungleichheit zu bekämpfen. Dazu gehört, sich für gerechte und transparente internationale Steuersysteme starkzumachen. Ebenso müssen endlich die lange versprochenen 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung gestellt werden. Dieses Ziel wurde vor 45 Jahren formuliert und wird bisher unter den G7-Staaten nur von Großbritannien erreicht. Das liegt nicht an mangelndem Wachstum, das liegt an mangelndem Willen zu gerechter Verteilung.“

Die Umfrageergebnisse stehen zum Download bereit unter www.oxfam.de/files/g7_umfrage_ungleichheit.pdf.

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