Offener Brief: Berliner Landesaufnahmeprogramm für Geflüchtete JETZT
Berlin, den 21. April 2020
Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister Michael Müller,
sehr geehrter Herr Innensenator Andreas Geisel,
sehr geehrte Vorsitzende der Fraktionen von SPD, Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP im Berliner Abgeordnetenhaus,
47 unbegleitete minderjährige Geflüchtete zwischen 11 und 15 Jahren aus den Flücht-lingslagern auf den griechischen Inseln Samos, Lesbos und Chios sind am Samstag in Deutschland angekommen. Ca. 39.000 Geflüchtete leben dort weiterhin, darunter 13.000 Kinder und Jugendliche, unter menschenunwürdigen Bedingungen und extremem Infektionsrisiko (Covid 19) – die dramatischen Bilder und Berichte sind uns allen längst bekannt.1 Viele der Geflüchteten sind bereits gesundheitlich geschwächt und psychisch traumatisiert.
Zumindest ein Anfang ist gemacht – das zeigt uns, dass es geht – aber umgehend fortge-führt werden muss. Nach dem Königsteiner Schlüssel entfallen auf Berlin 5 %, d.h. zwei oder drei der 47 Kinder.
Berlin hat sich bereits im Dezember 2019 bereit erklärt, 70 unbegleitete Minderjährige auf-zunehmen, und sich offen gezeigt für die Aufnahme weiterer besonders schutzbedürftiger Gruppen wie alleinerziehende Mütter, Familien mit Kindern, chronisch Kranke, traumati-sierte und alte Menschen. Sozialsenatorin Elke Breitenbach hat öffentlich erklärt, umgehend 400 Geflüchtete aufnehmen, unterbringen und versorgen zu können, mit mehr Vor-bereitung sogar bis zu 2000.
Zuletzt haben Sie, Herr Geisel, am 14.04.2020 erneut die Aufnahmebereitschaft mit einem Brief an den Bundesinnenminister (BMI) bekräftigt.2 Hierin fragen Sie nach der Zustim-mung des BMI zu einem Landesaufnahmeprogramm Berlins gemäß § 23 Abs. 1 AufenthG für die Aufnahme von mindestens 70 Kindern von den griechischen Inseln. Sie weisen da-rauf hin, dass auch weitere Bundesländer zusätzliche Geflüchtete aus Griechenland aufnehmen möchten.
- Das Berliner Landesaufnahmeprogramm muss jetzt schnell umgesetzt werden!
- Berlin muss mit Nachdruck die umgehende Zustimmung des BMI einfordern.
- Bei einer Zustimmung des BMI muss Berlin vorbereitet sein, um die Aufnahme sofort zu beginnen.
- Bei einer Ablehnung muss Berlin rechtliche Schritte gegen das BMI prüfen.
Der Bundesinnenminister hat bisher einem Landesaufnahmeprogramm die Zustimmung noch nie versagt. Auf die allgemeinen Angebote der Länder für eine Aufnahme aus Grie-chenland hat er in den letzten Wochen geschwiegen. Auf die Bitte des Innensenators von Berlin, die Zustimmung für eine Berliner Landesaufnahme gemäß § 23 Abs. 1 AufenthG von 70 Kindern aus griechischen Lagern aufgrund der humanitären Umstände dort zu er-teilen, muss das BMI jetzt umgehend reagieren.
Die humanitäre Aufnahme ist allerdings eine souveräne Entscheidung des Bundeslandes Berlin. Sie soll allein aufgrund der unwürdigen Zustände in den griechischen Lagern und der besonderen Schutzbedürftigkeit der aufgenommen Menschen erfolgen. Ein mögliches Asylverfahren, das die Lage in den Herkunftsländern der Geflüchteten prüft, ist hiervon unabhängig.3
Die Rechtsgutachten von Redeker, Sellner und Dahs4 sowie von Heuser5 kommen zu dem Ergebnis, dass die Länder aufgrund ihrer verfassungsrechtlichen Eigenstaatlichkeit einen großen politischen Entscheidungsspielraum für die humanitäre Landesaufnahme haben. Falls das BMI die Zustimmung versagt, muss das Land Berlin daher rechtliche Schritte gegen den Bund wegen Verletzung seiner Eigenstaatlichkeit einleiten!6
Das Programm auf Landesebene muss umgehend konkretisiert und operationalisiert wer-den. Dies beinhaltet die Vorbereitung einer Aufnahmeanordnung des Landes Berlin nach §23 AufenthG. Notwendig ist auch eine zügige Abstimmung mit den vor Ort aktiven Institu-tionen und den griechischen Behörden, um eine Auswahl in den Lagern zu ermöglichen.
Landesaufnahmeprogramme sind dafür da, um flexibel und schnell auf humanitäre Notla-ge zu reagieren. Herr Müller und Herr Geisel, handeln Sie schnell, stellen Sie die Weichen für das Landesaufnahmeprogramm für besonders schutzbedürftige Geflüchtete aus Griechenland und holen Sie die Menschen aus dieser Hölle!
Als Zivilgesellschaft sind wir bereit, die Aufnahme zu unterstützen sowohl mit unseren Kontakten zu vor Ort aktiven griechischen zivilgesellschaftlichen Organisationen als auch mit Initiativen in Berlin, um die Integration der Geflüchteten zu begleiten.
In Erwartung einer zeitnahen Antwort verbleiben wir mit verbindlichen Grüßen
gez. Dr. Sabine Speiser gez. Herbert Nebel gez. Georg Classen
für die unterzeichnenden Organisationen
Unterzeichnende Organisationen und Einrichtungen:
AWO Kreisverband Berlin-Mitte e.V.
Asyl in der Kirche Berlin-Brandenburg e.V.
Back on Track e.V.
BBZ Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Geflüchtete und Migrant*innen
Be an Angel e.V.
Berlin hilft e.V.
Berliner Forum Griechenlandhilfe e.V.
Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen
Bildungs- und Beratungszentrum Raupe und Schmetterling – Frauen in der Lebensmitte e.V.
borderline-europe – Menschenrechte ohne Gren-zen e.V.
BumF Bundesfachverband unbegleitete minder-jährige Flüchtlinge e.V.
Caritasverband für das Erzbistum Berlin e.V.
euqal rights beyond borders
Flüchtlingskirche Berlin Flüchtlingsrat Berlin e.V.
GEW Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Landesverband Berlin
Humanistischer Verband Berlin-Brandenburg KdöR
Institut für Traumapädagogik Berlin
Inter Homines – Empowerment und Therapie mit politisch Verfolgten e.V.
Internationale der Kriegsdienstgegner*innen e.V.
Internationale Liga für Menschenrechte e.V.
Jesuiten Flüchtlingsdienst
Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.V.
Kiezbündnis Klausenerplatz e.V.
Kompetenzzentrum Flucht, Trauma und Behinderung an der Humboldt-Universität zu Berlin
Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) Landesverband Berlin-Brandenburg e.V.
Moabit hilft
Ökumenisches Zentrum für Umwelt-, Friedens- und Eine-Welt-Arbeit e.V.
Pankow Hilft
Paritätischer Wohlfahrtsverband LV Berlin e.V.
Pro Asyl
Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV)
Respekt für Griechenland e.V.
Schöneberg hilft e.V.
Seebrücke
Solidarity City
Sprungbrett Zukunft Berlin e.V.
Stiftung Haus der Demokratie und Menschenrechte
Weltweit in der Kirche Berlin
Willkommen im Westend
Willkommen in Falkensee
XENION Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte e.V.
Zaki – Bildung und Kultur e.V.
Zentrum ÜBERLEBEN gGmbH – Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen
1 ttps://data2.unhcr.org/en/documents/download/75410
2 https://www.berlin.de/sen/inneres/presse/pressemitteilungen/2020/pressemitteilung.919747.php
3 Heuser, Rechtsgutachten zur Zulässigkeit der Aufnahme von Schutzsuchenden durch die Bundesländer aus EU-Mitgliedstaaten: http://www.rosalux.de/publikation/id/41787/aufnahme-von-schutzsuchenden-durch-die-bundeslaender
4 Redeker/Sellner/Dahs, Aufnahme von Flüchtenden aus den Lagern auf den griechischen Inseln durch die deutschen Bundesländer – Rechtliche Voraussetzungen und Grenzen: http://www.dropbox.com/s/21wghgyqi2ped69/Länderkompetenzen%20humanitäre%20Aufnahme%20Griechenland.pdf
5 Heuser, a.a.O.
6 Beim Berliner Verwaltungsgericht oder/und Bundesverfassungsgericht: Heuser, a.a.O.

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Pressemitteilung
AK Distomo beteiligt sich an den Gedenkfeiern zum 72. Jahrestag des
Massakers von Distomo am 10. Juni 2016
3. Juni 2016
-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
In der Zeit vom 4. bis 12. Juni 2016 wird der AK Distomo nach
Griechenland reisen, um für die Entschädigungsforderungen aller
griechischen NS-Opfer gegenüber Deutschland einzutreten.
Am 10. Juni 1944 wurden in der griechischen Ortschaft Distomo 218
Dorfbewohner_innen von einer SS-Polizeieinheit regelrecht
abgeschlachtet. Eine strafrechtliche Verfolgung der Mordaktion gab es nie.
Deutschland schuldet den Opfern und Überlebenden Entschädigung für die
während der Besatzung begangenen NS-Massaker, denen mindestens 30.000
Menschen zum Opfer gefallen sind. Es wurde gemordet, ganze Ortschaften
wurden zerstört und tausende von Existenzen vernichtet. Für diese
Verbrechen wurde an die Überlebenden und die Angehörigen der Ermordeten
bis zum heutigen Tag kein Cent Entschädigung gezahlt.
Der AK Distomo wird auch dieses Jahr an den Gedenkfeierlichkeiten zum
72. Jahrestag des Massakers von Distomo teilnehmen. Die
Entschädigungssumme von umgerechnet 28 Millionen Euro, die seit dem
Urteil des höchsten griechischen Gerichts, dem Areopag, aus dem Jahre
2000 rechtskräftig ist, ist bis zum heutigen Tage von der Bundesrepublik
Deutschland nicht beglichen worden. Der AK Distomo fordert die sofortige
Zahlung an die Überlebenden und Angehörigen des Massakers von Distomo.
Deutschland weigert sich auch, Forderungen der Jüdischen Gemeinde
Thessaloniki zu erfüllen. Diese erhebt gemeinsam mit der Initiative "Zug
der Erinnerung" die Forderung gegen die Deutsche Bahn AG und ihre
Eigentümerin (die Bundesrepublik Deutschland), die von den Opfern
erpressten Fahrtkosten für die Massendeportationen aus Griechenland nach
Auschwitz und Treblinka in vollem Umfang unverzüglich an die Jüdische
Gemeinde von Thessaloniki zurückzuerstatten. Die Deutsche Bahn AG und
die deutsche Regierung lehnen auch in diesem Fall jede Verantwortung und
jede Haftung ab.
Die deutsche Regierung hat, anstatt die Forderungen der Opfer zu
erfüllen, mehrere Institutionen (u.a. das „Deutsch-Griechische
Jugendwerk“ und den „Deutsch-Griechischen Zukunftsfonds“) gegründet, die
ein durchschaubares Ziel haben: mit der Arbeit in diesen Vereinigungen
soll gegenüber Funktionsträgern der griechischen Kommunen und der
Bevölkerung suggeriert werden, dass Deutschland sich für die
deutsch-griechische Völkerfreundschaft einsetzt und dafür viel Geld
aufwendet. Es soll die Botschaft transportiert werden, dass Deutschland
sich nach Kräften um die Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen bemühe, es
aber mehr als 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg für
Entschädigungsforderungen aus Griechenland keine Berechtigung mehr gebe.
Es ist ein scheinheiliges Engagement, dass in Wirklichkeit dazu dient,
sich aus der geschichtlichen und finanziellen Verantwortung zu stehlen,
um die Entschädigung auch weiter zu verweigern. Der AK Distomo lehnt
diese Initiativen strikt ab und fordert:
Sofortige Entschädigung aller Opfer des Nationalsozialismus!
Nazi-Verbrechen nicht vergeben, den antifaschistischen Widerstand nicht
vergessen! Gemeinsamer Kampf gegen den wiedererstarkenden Faschismus in
Europa!
Hamburg, den 03. Juni 2016
AK Distomo










