Umfrage unter 1400 Fachkräften: Minderjährige Flüchtlinge oft nur unzureichend versorgt und nicht kindeswohlgerecht untergebracht
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Der Bundesfachverband umF (BumF) hat 1400 Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe zur Ankunftssituation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (umF) befragt. Damit liegen erstmals bundesweite Daten zur Versorgungslage von umF in der Ankunftszeit vor.
Die Umfrageergebnisse zeigen, dass viele umF in Deutschland – insbesondere in den Anfangsmonaten – nur unzureichend versorgt und nicht kindeswohlgerecht untergebracht werden. Allerdings zeigt die Umfrage auch, dass umF in einem Teil der Kommunen gut versorgt werden: Diese hatten sich auf die seit November 2015 stattfindende Quotenverteilung vorbereitet und ausreichend Einrichtungen geschaffen, die das Wohl der Kinder und Jugendlichen sicherstellen.
Prekäre Unterbringungssituation: Fast 60% der Teilnehmenden geben an, dass bei ihnen vor Ort während der vorläufigen Inobhutnahme auch Einrichtungen genutzt werden, die in der Regel nicht das gesetzliche Genehmigungsverfahren durchlaufen haben, um Kinder und Jugendliche ganztätig zu betreuen oder unterzubringen – etwa Notunterkünfte und temporäre Unterbringungen (31,4%), Hotel, Hostels, Jugendherbergen (15,5%) sowie Gemeinschaftsunterkünfte für erwachsene Asylsuchende (12,6%). Auch bei der Anschlussunterbringung werden in einem Teil der Kommunen auch Gemeinschaftsunterkünfte (24%), Hostels (21,6%) und Notunterkünfte (22,6%) genutzt.
- Der BumF fordert, dass Notversorgungsstrukturen endlich durch gesetzeskonforme Regelangebote ersetzt und umF bedarfsgerecht in geeigneten Einrichtungen, Wohnformen oder Pflegefamilien untergebracht, versorgt und betreut werden.
- Wer in Wohngruppen oder Pflegefamilien statt (Not-)Unterkünften mit geringer Betreuung lebt, hat deutlich bessere Chancen auf einen erfolgreichen Bildungsverlauf und gesellschaftlicher Teilhabe.
Lange Wartezeiten: Die Verfahren zur Durchführung der Verteilung, Unterbringung und zur Bestellung eines Vormundes dauern vielerorts deutlich länger als gesetzlich vorgeschrieben. Bis die Minderjährigen eine_n Vormund_in haben und diese_r die Anschlussunterbringung veranlassen kann, vergehen zum Teil viele Monate. 37,5 Prozent aller Teilnehmenden geben an, dass eine Anschlussunterbringung erst nach mehr als drei Monaten erfolgt – bei nur 17,4 Prozent liegt die Wartezeit unter einem Monat. Die Dauer der Vormundschaftsbestellung ist lokal sehr unterschiedlich: 25,3 Prozent gaben an, dass es mehr als drei Monate dauere, bei 43,9 Prozent lag die Wartezeit unter einem Monat. Dies führt u.a. dazu, dass auch der Asylantrag i.d.R. erst sehr spät oder sogar zu spät gestellt werden kann.
- Der BumF fordert eine deutliche Beschleunigung der Verfahren sowie eine unabhängige rechtliche Vertretung von Beginn an. Es ist weder mit dem Kindeswohl noch mit dem kindlichen Zeitempfinden vereinbar, Kinder und Jugendliche in einer derart belasteten Situation über die o.g. genannten Zeiträume in einer Warteschleife zu lassen: Regelmäßig berichten zudem Betreuer_innen von Schlafstörungen, Alpträumen, Konzentrationsschwierigkeiten und Antriebslosigkeit der Jugendlichen während der langen Wartezeiten.
- Vor diesem Hintergrund sowie aufgrund der hohen Schutzquoten von umF im Asylverfahren fordert der BumF zudem eine Altfallregelung für umF im Asylverfahren.
Verschwinden der Minderjährigen: Die Ergebnisse machen deutlich, dass das System der vorläufigen Inobhutnahme und der bundesweiten Verteilung die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen nicht angemessen berücksichtigt. An vielen Orten entziehen sich die Minderjährigen einer Verteilentscheidung. 31,6 Prozent der Fachkräfte gaben an, dass sich Minderjährige oft oder teilweise der vorläufigen Inobhutnahme entziehen.
- Soll verhindert werden, dass sich Minderjährige entziehen und damit in für sie gefährdende Situationen geraten, müssen sie dabei unterstützt werden, an ihre Zielorte zu gelangen. Der BumF fordert den Gesetzgeber auf im Rahmen der anstehenden SGB VIII Reform die Verteilung und Zuweisung zu Angehörigen und Bezugspersonen durch ein klares mit dem Ausländerrecht abgestimmtes Verfahren zu erleichtern. Zudem sollte gesetzlich die Möglichkeit geschaffen werden, eine einmal erfolgte Zuweisung im Nachhinein abzuändern.
Die ausführlichen Umfrage-Ergebnisse können hier abgerufen werden: Evaluation „Aufnahmesituation von umF in Deutschland“ (pdf)
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